Vorarlberg: Wer hier arbeitet, muss mehr erwarten dürfen – nicht weniger
Man kann ehrlich gesagt nicht behaupten, dass Vorarlberg vor lauter Glamour platzt – kein Großstadtgetümmel, keine Skyline wie aus dem Bilderbuch. Dafür: Berge, Dörfer, mittelgroße Städte, ein wenig Dreiländereck-Charme. Nicht die offensichtliche Wahl für Menschen, die sich beruflich neu sortieren wollen, egal ob frisch von der Uni oder als Fachkraft mit schon ein paar Kerben im Lebenslauf. Aber, und jetzt kommt das Aber: Wer genauer hinsieht, landet schnell bei einer Region, die fast unverschämt dynamisch wirkt – wirtschaftlich, technologisch, gesellschaftlich. Womöglich ist gerade diese Rauheit zwischen Tradition und „Hidden Champions“ ihre spezifische Stärke.
Industrie am Puls: Viel mehr als Käse und Textilklischees
Das Klischee – Vorarlberg, das ist die Wiege der Stickerei, Köstlichkeiten wie Käse, und… ja, und? Tatsächlich pulsiert die Region gewaltig unter der Oberfläche. Seit Jahren steht das Ländle für mittelständische Unternehmen auf Weltniveau: Etwa Technik-Vorreiter in der Elektronik, Kunststoffverarbeitung, Maschinenbau. Wer ein bisschen analytisch unterwegs ist, entdeckt Branchennamen, die international mitspielen, auch wenn die wenigsten auf Insta trendig herumgereicht werden. Man könnte sagen: Die Industrie hier tickt leise, aber effektiv – und das ist spannend, ehrlich.
Der Arbeitsmarkt ist – einmal Klartext – kompetitiv, aber lebendig. Eingesessene Firmenrivalität trifft auf einen akuten Bedarf an Fachkräften, der mit Hausmitteln längst nicht mehr zu decken ist. Besonders deutlich spürbar ist das in klassischen technischen Berufen, bei IT-Spezialisten, in der Kunststoffbranche, aber auch im Bau- und Lebensmittelsektor. Klingt erstmal bodenständig, aber die Projekte, um die es geht, sind oft technologisch auf der Höhe der Zeit. Selbst die Textilbranche hat sich neu erfunden: Hightech-Fasern statt Omas Gardinen. Wer von außen kommt, muss sich ein bisschen durchbeißen, keine Frage – aber Problemkultur ist hier nicht dominant; eher Pragmatismus mit Migrationshintergrund, zumindest im technischen Bereich.
Gehalt & Entwicklung: Zwischen Bodenhaftung und Sprungbrett
Klar, für den ganz großen Zahltag sollte man vielleicht nicht gleich die Koffer packen. Die mittleren Einstiegsgehälter für qualifizierte Fachkräfte bewegen sich zwischen 2.700 € und 3.100 €, aber es gibt Luft nach oben – gerade in Mangelberufen oder bei Nischen-Know-how. 3.500 € bis 4.000 € sind da durchaus drin, je nach Sektor. Und, was sich oft erst auf den zweiten Blick zeigt: Die Durchlässigkeit der Unternehmen ist auffallend hoch. Sprich, man bekommt oft schneller Verantwortung, auch wenn die Teams kleiner sind. Wer nicht nur schaulaufen will, sondern wirklich gestalten, kann hier überraschend weit kommen. Auch weil das Hierarchie-Geschwurbel in vielen Betrieben eher übersichtlich bleibt.
Der Weiterbildungstrend? Nicht aufgesetzt, sondern erzwungen – nicht selten von der Produktion getrieben. Die ständigen „kleinen“ Innovationen, die man hierzulande so mag, bedeuten für Mitarbeitende bisweilen regelmäßige Nachschulungen, Projektwechsel, Learning by Doing auf hohem Niveau. Wer Wandel aushält, wird gefördert, oft auf sehr direkte, manchmal auch schonungslose Art. Gut, nicht jeder mag den Stil. Aber lieber so als ewige Powerpoint-Romantik, oder?
Atmosphäre: Nahbarkeit, Eigenarten – und der raue Charme eines Grenzgängers
Persönlich – und das sage ich mit einem gewissen Understatement – habe ich es selten erlebt, dass regionale Zugehörigkeit im Alltag so deutlich spürbar ist wie hier. Es mischen sich die Eigenarten einer schweigsamen Bergregion mit dem Humor von Grenzgängern, und mittendrin: diese fast schon selbstverständliche Arbeitsamkeit. Auf Pendlerstrecken – von Feldkirch nach Dornbirn, von Bregenz nach Bludenz – spürt man einen eigentümlichen Rhythmus. Die Gespräche im Bus drehen sich nicht nur um Arbeitszeiten und Wetter, sondern um ganz konkrete Produktinnovationen, Betriebsübergaben, Bauprojekte, kleine und große Sorgen; manchmal klingt es wie aus einer anderen Zeit, manchmal nach Start-up-Mut in Lederhosen.
Klar, für diejenigen, die auf Anonymität und Distanz Wert legen, ist das ein Test. Smalltalk in der Kantine? Kein Selbstläufer, aber man wächst rein – meistens. Die Nähe, die manchmal als Enge empfunden wird, hat auch Vorteile: Netzwerke entstehen fast zufällig, Beziehungen reichen weit über die Abteilung hinaus, selten bleibt jemand lange ein „Neuer“.
Pendelzone Europa: Standort mit Doppelleben
Manche sagen, Vorarlberg sei ein Randphänomen – geografisch abgehängt und vor allem für Einheimische gemacht. Ein Fehlschluss, wie ich finde. Zum einen liegt Zürich in Griffweite, die Bodenseeschiene ist international quicklebendig, von Lindau bis St. Gallen pulsiert eine ganz eigene Wirtschaftsader. Dazu gesellen sich Grenzgänger, die frühmorgens wie ein eigenes Börsenbarometer durch den Bahnhof ziehen. Die Region fühlt sich manchmal an wie ein Knotenpunkt mit Jetlag – zwischen Alpenruhe und Euro-Dynamik.
Wer hier arbeitet (oder diesen Schritt erwägt), darf ruhig fordernd sein. Durchschnittsoutput reicht selten, zu viel Routine ist eher Verdachtsmoment als Empfehlung. Aber: Die Möglichkeiten, eigene Akzente zu setzen, sind echt. Klar, es bleiben Zweifel – ob man als Externer nicht immer ein bisschen fremd bleibt oder ob der Sprung lohnt. Meine Erfahrung? Es lohnt, sich an die Ecken heranzutasten. Die Überraschungen kommen – auf Arbeitsebene und im Alltag – öfter und manchmal radikaler, als man glaubt. Aber das ist ja im Grunde der Kern einer lebendigen Karriere: Mut zu Spuren statt zu Spurenlesen.